»Jeder stirbt für sich allein« – Lesung und Filmvorführung anlässlich des 70. Todestages von Hans Fallada

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Einfach lesen! – Reihe

Rede von Raymund Stolze zur Eröffnung der Veranstaltung

Liebe Fallada-Gemeinde,

erlauben Sie mir diese persönliche Anrede aus gutem Grund, denn wir wollen am heutigen Abend mit unserer Filmveranstaltung an einen bedeutenden deutschen Schriftsteller erinnern, der Anfang der 30er-Jahre in Neuenhagen in lebte und hier seinen wohl berühmtesten Roman »Kleiner Mann was nun?« schrieb.

Seine Wiederentdeckung und Renaissance verdankt der hochbegabte Selbstzerstörer Hans Fallada, dem Auslandserfolg seine letzten Romans »Jeder stirbt für sich allein«, der ab 2002 teilweise neu und teilweise erstmals übersetzt, sechsstellige Auflagezahlen vor allem in England, Frankreich, den USA und Israel erzielte.

In Deutschland wurde der Roman 2011 vom Aufbau-Verlag, der ein Jahr zuvor alle Fallada-Rechte aufgekauft hat, erstmals in der ungekürzten Originalfassung neu veröffentlicht und erwiest sich nicht nur als Verkaufserfolg, sondern auch als literarische Sensation.

Den entscheidenden Impuls, dieses Buch zu schreiben, verdankte Fallada dem Kulturfunktionär und späteren DDR-Kulturminister Johannes R. Becher. Der hatte ihm und seiner zweiten Frau Ursula Losch eine Villa in Pankow, Lebensmittelkarten für Fleisch und Cognac besorgt. Außerdem ließ er ihm die Gestapoakten von Elise und Otto Hampel zukommen. Das Arbeiterehepaar hatte nach dem Kriegstod von Elises Bruder – er fiel als Soldat an der Westfront – von 1940 bis 1942 in Berlin Postkarten-Flugblätter in Treppenabsätzen und Hausfluren in ihrem Weddinger Kietz gegen Hitler ausgelegt, um zum Widerstand gegen das Naziregime aufzurufen. Die Hampels wurden denunziert und am 8. April 1943 in Plötzensee hingerichtet.

Fallada äußerte zunächst Zweifel, in dieser Geschichte gebe es »kein bisschen Jugend, Licht und Hoffnung«.

Dennoch schrieb er in nur 24 Tagen sein letztes Meisterwerk »Jeder stirbt für sich allein«.

Kurz vor der Fertigstellung des Romans, Ende November 1946, brachte Ulla fünf neue Ampullen Morphium ins Haus, um ihm, wie sie sagte, »eine Freude zu machen«. Der Tagesverbrauch des Ehepaars betrug bald zehn Ampullen Morphium, sollte Becher später berichten. Als der Stoff schwand und die Tobsuchtsanfälle zunahmen, kam Fallada in der geschlossene Psychiatrie der Charité …

Am 10. Januar 1947 wurde er erneut ins Hilfskrankenhaus Niederschönhausen eingewiesen, wo er in einem umgestalteten Schulklassenzimmer lag. Dort starb er am 5. Februar 1947 im Alter von 53 Jahren. Auf seinem Todesschein wurde lediglich »Tod durch Herzversagen« vermerkt …

Johannes R. Becher wird seinen späten Freund in einem Nachruf gegen die Angriffe aus der Ost- und Westpresse mit den Worten verteidigen:

»Als ob es so etwas gäbe, wie einen nicht umstritten Schriftsteller. Unumstritten sind nur die Nullen und Nichtskönner!«

Was unsere heutige Gedenkveranstaltung für Hans Fallada angeht, so können wir Ihnen zur Einstimmung auch eine Sensation bieten. Sein Sohn Achim Ditzen hat dem Aufbau Verlag ein Manuskript in die Hände gedrückt. Es enthält die fast letzten Briefe des Vaters von Weihnachten 1946 – alle bisher unveröffentlicht!

Erlauben Sie mir, Ihnen drei dieser sehr persönlichen Dokumente, die sich auch auf die Arbeit an »Jeder stirbt für sich allein« beziehen, zur Einstimmung auf die Filmvorführung vorzutragen …
Dass die Geschichte des Ehepaares Quangel [so heißen die Hampels bei Hans Fallada] – der Roman wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt – auch für das Kino und Fernsehen von große Interesse war und ist, liegt vor allem an der eindringlicher Darstellung des Widerstandes der kleinen Leute. Der Roman wurde fünfmal verfilmt.
Der erste Spielfilm entstand unter der Regie von Falk Harnack und wurde am 19. Juli 1962 erstmals in der ARD ausgestrahlt. [Dabei spielten Edith Schultze-Westrum und Alfred Schieske die Hauptrollen]
Ende der 1960er Jahre ließ das DDR-Fernsehen den Roman von der DEFA als Dreiteiler produzieren. der im September 1970 erstausgestrahlt wurde.
[Die Hauptrollen wurden von Elsa Grube-Deister und Erwin Geschonneck verkörpert.]
Sechs Jahre später spielten Hildegard Knef und Carl Raddatz die Hauptrollen in der Kinoverfilmung von Alfred Vohrer.

Für das tschechische Fernsehen entstand 2004 ein Dreiteiler.

Im Februar 2016 erlebte im Wettbewerb der Berlinale die deutsch-französisch-englische Koproduktion [Originaltitel Alone in Berlin] ihre Weltpremiere, die am heutigen Abend aus Anlass des 70. Todestages von Hans Fallada im Neuenhagener Bürgerhaus gezeigt wird …

[Emma Thompson und Brendan Gleeson in den Hauptrollen]

Lesung mit anschließender Filmvorführung
am 10.02.2017 um 19.30 Uhr

Bürgerhaus Neuenhagen
Hauptstrasse 2 15366
Neuenhagen bei Berlin